Synagogengedenkstätte

 

 

 

 Es bedarf eines besonderen Blickes, das Alltägliche bewusst wahrzunehmen und auch in seiner Wirkung zu erkennen. So hatte sich der in den 70iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts errichtete und damals auch recht platzierte Synagogen-Gedenkstein mehr und mehr zwischen Laub und Gestrüpp zurückgezogen und ein mittlerweile unwürdiges Versteck gefunden.

Als ich im Jahre 2003 mit der Aufgabe betraut wurde, einen neuen Gedenkplatz zu entwerfen, der den alten Stein mit einbeziehen sollte, war mir von Anfang an wichtig, die Wertigkeit dieses Steines zu erhalten. Nur eine gleichwertige Behandlung des Vorhandenen mit dem Neuen kam überhaupt in Frage. Mein erster Entwurf wurde nach den parlamentarischen Beratungen für die Realisierung freigegeben. Obwohl dies gar nicht vorgesehen war, machte ich es mir zur Aufgabe auch die Gussformen und den Bronzeguss von eigener Hand vorzunehmen, um das Ergebnis besser steuern zu können.

Nach dem Krieg geboren, war ich in der nicht leichten Verpflichtung, ein Bildnis von einer historischen Tragödie angemessen zu entwickeln, von der ich glücklicherweise nicht betroffen war. Die Beschäftigung mit der Thematik und die spätere Arbeit im Atelier machten mich jedoch bald betroffen. Den Vorstellungen von den Ereignissen, wurden durch den Werkprozess bei der Herstellung geradezu erschreckende Visionen hinzugesellt. Das Ausbrennen der Formen im Ofen, das Ausschmelzen des Wachses, das Zerschmelzen der Bronze im Feuer und der verbrannte Geruch suchten in meiner Vorstellung unwillkürlich nach Parallelen aus dem Jahre 1938.

Aber durch diese Arbeiten erstand die Synagoge in Form eines vierteiligen Bronzereliefs neu. Diesmal von dem Feuer erschaffen, mit flüssiger Bronze bei 1250°C gegossen. Nicht als Abbild von einst, das ungeschehen machen möchte, sondern in einer Darstellung, die unwiderrufliche Zerstörung zeigt. Zerbrochene Scherben bilden die Synagogen ab, die durch die fehlende Tür keinen Zutritt mehr erlaubt. Die vier Teile sind auf einem Gitter angebracht, das zudem den Zugang zur nahen Grundmauer versperrt. Die Vergitterung schließt oben mit einer Flammenlinie ab.

Unter dem Relief findet sich der Stein wieder, der Ende der 70iger Jahre zur Erinnerung gesetzt wurde. Er ist mit einem Edelstahlrahmen gefasst und wurde von der Steinmetzfamilie Schulda auf der Rückseite neu gestockt. Das ganze Oberteil steht auf vier runden Säulen, die mit radial angeordneten Perforationen versehen sind. Obwohl sie die Jahreszahl 1938 ergeben, sind sie unregelmäßig verteilt. Damit sind auch symbolhaft die Menschen gemeint, die aus der Synagoge vertrieben wurden.

Beherrschten mich bei der Arbeit auch oft schwermütige Gedanken, so war die Zusammenarbeit mit den Beteiligten der Errichtung umso angenehmer. Als ginge es darum eine vorhandene Schuld wieder gut machen zu wollen, engagierte sich jeder stärker als verlangt. Jeder einzelne arbeitete mir auf seine Art unaufgefordert mit Verbesserungen und konstruktiven Neuvorschlägen zu. Der Magistrat war Ideengeber dafür, dass das Bronzerelief stark plastisch und tatsächlich zerbrochen ausgebildet werden konnte. Der Leiter des Stadtmuseums, Jürgen Volkmann hingegen verwendete viel Zeit und Geduld zur Ermittlung optimaler Proportionen. Der Feinmetallbauer Friedrich Brenner probierte neue Metall-Verbindungen um die Edelstahl-Stehle so elegant wie möglich erscheinen zu lassen.

Ebenfalls über seinen Auftrag hinaus ging der Landschaftsplaner Ulf Kluck. Zu den Garten- und auch wohlüberlegten Pflasterarbeiten, verwendete er auch große Mühe, dem Wunsch einiger Bürger und Politiker, den Grundriss der Synagoge sichtbar werden zu lassen, Gestalt zu geben. Die aus der näheren Umgebung der ehemaligen Synagoge geborgenen roten Sandsteine, geben jetzt am Grundriss einen halben Meter hoch gemauert einen höchst authentischen Eindruck vom Standort des Gotteshauses.

Erst am 9. November 2005 vormittags konnten die einzelnen Teile zusammengefügt werden, die bisher nur in meiner Vorstellung als Einheit existierten. Die Stehle integrierte sich gut in den umgebenden Platz und korrespondierte farblich mit den Häusern der Anwohner. Sie wirkte harmonisch und machte auf mich sofort den Eindruck, schon lange hier gestanden zu haben.

Einigkeit herrschte bei den zurückliegenden Beratungen, der ehemaligen Synagoge in Zukunft ein würdiges Andenken zu schaffen. Mein Entwurf war anfangs teils heftiger Kritik ausgesetzt, doch wurde die Gedenkstätte glücklicherweise am Abend der Enthüllung einhellig akzeptiert. Aus dem freilich kurzen zeitlichen Abstand heraus, ist schon jetzt zu spüren, das nun die Bürger den Platz als ihre eigene Groß-Gerauer Synagogen-Gedenkstätte wahrnehmen und vor allen Dingen auch annehmen. Wie wichtig und richtig die Errichtung zu diesem Zeitpunkt war, machen unter anderem die entsetzlichen Äußerungen des iranischen Präsidenten der letzten Tage deutlich!

Abschließend möchte ich dem Magistrat der Kreisstadt Groß-Gerau für die Auftragserteilung und das Vertrauen danken. Ebenfalls danke ich Herrn Jürgen Volkmann für die sachkundige Beratung und allen Mitwirkenden bei der Realisierung der Synagogen-Gedenkstätte. In der Zusammenarbeit durfte ich ein Miteinander erleben, das zu einem besseren Ergebnis geführt hat. Ich hoffe die Gedenkstätte hilft mit, dass der 9. November in Zukunft eine größere Beachtung erfährt.

16. Dezember 2005

Mario Derra